02. Oktober 2019  |  Aktuelles

Suchtmedizin in der Lehre – ein Situationsbericht aus der Schweiz

Die suchtmedizinische Ausbildung kommt im Studium der Humanmedizin zu kurz. Im Rahmen der universitären Lehre wäre eine koordinierte Zusammenarbeit der verschiedenen tangierten Fachgebiete wichtig – wie das gehen kann, machen die Universitäten von Grossbritannien vor.

Problematischer und abhängiger Substanzkonsum sind häufig in unserer Gesellschaft: Rund ein Drittel der Patientinnen und Patienten in einer Hausarztpraxis sind davon betroffen. Doch verglichen mit an-deren chronischen Erkrankungen wird den Abhängigkeitserkrankungen eine geringe Aufmerksamkeit zuteil. Die Folge: Problematischer Konsum wird oft erst dann bemerkt, wenn sich die Langzeitfolgen bereits zeigen.

Zentral ist daher, dass Ärztinnen und Ärzte besser in der Suchtthematik geschult und dafür sensibili-siert werden. So sieht die Nationale Strategie Sucht des Bundesrats vor: „Gesundheitsfachpersonen der medizinischen Grundversorgung sind für Prävention, Früherkennung und Behandlung von abhän-gigkeitsgefährdeten und abhängigen Menschen besonders wichtig. Deshalb ist es notwendig, Suchtas-pekte bereits in die Ausbildung einfliessen zu lassen.“ (BAG 2015)

Best-Practice-Beispiel an den Universitäten in Grossbritannien

In Grossbritannien wurde 2014 an allen medizinischen Fakultäten eine Grundausbildung über Drogen-konsum und Suchtverhalten eingeführt. Dazu wurde zuerst eine Konsensleitlinie entwickelt, die vor-zeichnet, wie sich die Ausbildung in den Lehrplan des Bachelorstudiums integrieren lässt. Anschlies-send folgte ein Implementierungsleitfaden. Der Lehrplan wird dabei der Interdisziplinarität des Gebiets gerecht, indem die klinischen, psychologischen und sozialen Auswirkungen des problematischen Sub-stanzkonsums betrachtet werden und Lernziele in den Bereichen der Grundversorgung, der Psychiat-rie und des problemorientierten Lernens definiert worden sind. Pro Fakultät wurde dazu ein Koordina-tor ernannt, während das „International Centre for Drug Policy“ an der St George’s University in Lon-don die nationale Koordination übernimmt.

Aktuelle Situation in der Schweiz

In der Schweiz hingegen sieht die Situation noch ganz anders aus, wie eine 2014 publizierte und vom BAG in Auftrag gegebene Bestandesaufnahme zeigt:

  • An allen schweizerischen medizinischen Fakultäten wird eine suchtmedizinische Ausbildung angeboten, jedoch mit grossen Unterschieden hinsichtlich des Umfangs: Die Unterrichtsstun-den liegen je nach Fakultät zwischen 14 und 52 Stunden während der 6-jährigen Grundausbil-dung.
  • Es gab einige Koordinationsbemühungen, aber sie waren weder systematisch noch kontinuier-lich.
  • Die Ausbildung basierte im Allgemeinen auf eigenen Initiativen und Interessen der Lehrenden, ohne Lehrkonzept und Koordination.
  • Das Angebot erfolgte hauptsächlich durch Suchtmediziner und teilweise durch die Institute für Hausarztmedizin. Dies ist entgegen der klinischen Realität, in der die meisten Patienten mit problematischem Substanzkonsum in der Primärversorgung behandelt werden.
  • Der Unterricht erfolgte meist substanzbezogen, nicht als Querschnittskonzept, das in die tägli-che medizinische Praxis integriert ist (Screening, Evaluation, etc.)
  • Die meisten Fakultäten schlugen eine Form der Evaluation des vermittelten Stoffes vor (Mul-tiple-Choice-Prüfung, klinische Prüfung mit standardisierten Patienten), aber es gab keinen klar definierten Ort für die Evaluation, auch nicht im Staatsexamen.

Um die bestehenden Behandlungslücken für Patientinnen und Patienten mit problematischem Substanzkonsum zu verkleinern, sind verschiedene Massnahmen notwendig:

  • Es braucht in der Suchtmedizin eine gut koordinierte Zusammenarbeit aller in die Lehre invol-vierten Fachgebiete, um der Interdisziplinarität des Fachs gerecht zu werden. Deshalb ist die Ernennung eines Koordinators an jeder medizinischen Fakultät sinnvoll.
  • Wichtig ist zudem die Schaffung einer koordinativen Stelle, die ähnlich dem Vorbild der Univer-sitäten in Grossbritannien auch die landesweite Koordination der Lehrtätigkeiten an den ver-schiedenen Universitäten übernimmt. Hierfür bietet sich die Angliederung an die nationale Fachgesellschaft für Suchtmedizin (SSAM) an.
  • Die Fachgesellschaft für Suchtmedizin sollte ausserdem die erforderlichen Lernziele erarbeiten, deren Erreichung überprüfen, die notwendigen Unterlagen zur Verfügung stellen und die Lehrkräfte schulen.

Quelle:

Bruggmann, P., Broers, B. (2019). «Suchtmedizin in der Lehre – ein Situationsbericht aus der Schweiz». Suchtmedizin 21 (4), 272-276.

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