30. Mai 2024  |  Medienmitteilung

30 Jahre Heroingestützte Behandlung: Ein Weckruf für Gesetzesreformen und bessere Zugänglichkeit

1994 startete in der Schweiz ein wissenschaftlicher Versuch mit der heroingestützten Behandlung. Dreissig Jahre später ist diese Behandlungsmethode landesweit zum anerkannten Goldstandard in der Behandlung schwerer Heroinabhängigkeit geworden, womit die Schweiz weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt. Dennoch gibt es in der Schweiz nach wie vor eine Gruppe von Betroffenen, die für ihre Stabilisierung und Reintegration in der Gesellschaft auf die heroingestützte Behandlung angewiesen wären, aber aufgrund einschränkender gesetzlicher Auflagen keinen Zugang dazu haben. Die heroingestützte Behandlung ist auf Papier und gesetzlich verankert im "Versuchsmodus" verharrt, mit fatalen Folgen für die Betroffenen.

Kaum eine andere Behandlungsmethode wurde so kontrovers diskutiert wie die heroingestützte Behandlung*. Zu gross war vor 30 Jahren die Angst vor dem Schreckensgespenst «Heroin». Auch noch heute ist die Diskussion über die Behandlungsmethode eher von persönlichen Meinungen und ideologischen Überzeugungen geprägt als von Fachwissen und praktischer Erfahrung.

Aus den Augen aus dem Sinn

Angesichts der offenen Drogenszenen am Platzspitz und am Letten war der Leidensdruck in der Bevölkerung gross und so wurde vor 30 Jahren der Versuch mit der heroingestützten Behandlung zusätzlich zur bisherigen Methadonbehandlung von Volk und Politik gutgeheissen. Dieses Angebot ist nun seit Jahrzehnten mehr als erfolgreich: Die Schweiz geniesst weltweit den Ruf einer Pionierin, wenn es um Behandlungsangebote für Menschen mit einer Opioidabhängigkeit geht. Allerdings wurde es versäumt, diesen so erfolgreichen wissenschaftlichen Versuch in der Folge von den einschränkenden gesetzlichen Auflagen zu befreien und in die medizinische Regelversorgung überzuführen und dafür zu sorgen, dass alle Betroffene, die nicht auf die übrigen Opioidagonisten ansprechen, Zugang zu der für sie wirksamen Behandlung haben.

Denn: Mit den offenen Drogenszenen sind auch die Menschen mit einer Opioidabhängigkeit aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden. Weniger Problemdruck bedeutet leider auch, weniger Aufmerksamkeit für die medizinische Versorgung von Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ausgegrenzt werden. So findet der Diskurs über die Versorgung und die Bedürfnisse von Menschen mit einer Opioidabhängigkeit höchst selten den Weg in die Medien und in die Öffentlichkeit. Und auch in der Politik findet die Weiterentwicklung der heroingestützten Behandlung und deren Integration in die Regelversorgung kaum Gehör.

Dabei hat uns die drohende neue offene Drogenszene in der Bäckeranlage in der Stadt Zürich im letzten Jahr schlagartig vor Augen geführt, was passiert, wenn ein Teil der 4-Säulen-Politik, wie die Angebote der Schadensminderung und Therapie, nicht oder ungenügend zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch die heroingestützte Behandlung!

Besondere Bedeutung hat die Sicherstellung von Behandlungsangeboten für alle Menschen mit einer Opioidabhängigkeit auch im Hinblick auf eine drohende Fentanyl-Welle: Hier wären Personen, die sich weiterhin mit illegalem Heroin versorgen tödlichen Risiken ausgesetzt.

Betroffene werden im Heilungsprozess aktiv gebremst

Obwohl sich die heroingestützte Behandlung als wirksam erwiesen und etabliert hat, und obwohl wir wissen, dass ein beträchtlicher Teil der opioidabhängigen Menschen nur auf diese Behandlung anspricht, haben nicht alle Menschen Zugang dazu. Dies liegt daran, dass die gesetzlichen Bestimmungen, die für den Zugang sowie die Therapie selbst noch den Kriterien des wissenschaftlichen Versuchs von vor 30 Jahren entsprechen, extrem hochschwellig sind und mit einem gesellschaftlich integrierten Leben nur schwer vereinbar sind. Und dass die Behandlung in der Schweiz nicht überall verfügbar ist: Viele Kantone haben kein entsprechendes Angebot und oft sind die für die Behandlung zugelassenen Zentren nur in grösseren Städten zu finden.

Darüber hinaus sind auch im Bereich der Gesundheitsversorgung steigende Kosten bei gleichzeitig sinkenden Tarifen zu verzeichnen. Dies gefährdet die längerfristige Aufrechterhaltung der Angebote.

Notwendige Weiterentwicklung: konkrete Forderungen

Aus den Erfahrungen der Praxis und aus wissenschaftlicher Sicht ist folgende Weiterentwicklung dringend erforderlich:

  • Medizinisches Heroin sollte gleichwertig und zu denselben Bedingungen wie alle anderen für die Behandlung der Opioidabhängigkeit eingesetzten Medikamente verfügbar sein
  • Die heroingestützte Behandlung muss in der ganzen Schweiz in allen Kantonen und für alle betroffenen Menschen zugänglich sein
  • Auch Insass:innen von Strafanstalten müssen Zugang haben zur heroingestützten Behandlung

Jubiläum: Anlass, um gemeinsam weiter Geschichte zu schreiben

Die heroingestützte Behandlung ist eine grosse Errungenschaft der Schweizer Suchtpolitik, auf die wir stolz sind. Wir hoffen, dass das 30-jährige Jubiläum der heroingestützten Behandlung Politik und Gesellschaft motiviert, dringend notwendige Schritte für eine Normalisierung und eine bessere Zugänglichkeit dieses Behandlungsangebots einzuleiten, um dafür zu sorgen, dass Betroffenen wie in der Gesundheitsversorgung in der Schweiz üblich, die medizinisch angezeigte und wirksame Behandlung erhalten, wovon letztlich auch die gesamte Bevölkerung profitiert.

Gerne stehen wir Ihnen für weitere Auskünfte zur Verfügung:

Thilo Beck, Co-Chefarzt Psychiatrie & Mitglied der Geschäftsleitung, t.beck@arud.ch, 058 360 50 00

Patrizia De Nicoli, Projektleiterin Kommunikation, kommunikation@arud.ch

Heroingestützte Behandlung erklärt*:

Die Basis der Therapie ist das Ersetzen des verunreinigten Strassenheroins mit pharmazeutisch hergestellten Medikamenten. Der Konsum findet nicht auf der Strasse statt, sondern in einem geschützten, medizinischen Rahmen.

Ziele/Vorteile der OAT:

  • Betroffene haben keine Entzugssymptome und somit kein Beschaffungsdruck mehr
  • Konsumierende nehmen reine Substanz zu sich, keine gefährlichen Nebeneffekte durch Streckmittel
  • Verschreibung in medizinischem Rahmen, ausgehändigt von einer Fachperson
  • Probleme mit dem Konsum oder der Gesundheit werden vom Personal rasch erkannt und können direkt besprochen und behandelt werden
  • Konsumierende wissen, welche Dosis sie konsumieren (auf der Strasse ist das unmöglich und gefährlich)
  • Möglichkeit zur Arbeitstätigkeit und Übernahme von sozialen Aufgaben und Pflichten
  • Gesundheit von Konsumierenden verbessern
  • Regulierte Abgabe statt Schwarzmarkt
  • Weniger Beschaffungskriminalität
  • Weniger soziale Probleme durch Wegfall/Verringerung von offenen Szenen

Die heroingestützte Therapie ist ebenfalls eine lebenserhaltende Massnahme und senkt das Vorkommen von Überdosierung auf ein Minimum. Für viele Konsumierende ist eine Heroingestützte Therapie der erste Schritt zurück in ein geregeltes Leben und hilft, wieder Fuss in der Gesellschaft zu fassen.

Die Dosis und Konsumfrequenz werden mit Ärzten und Fachpersonen in Zusammenarbeit mit den Konsumierenden im Rahmen der Therapie festgelegt und fortlaufend geprüft, immer im Sinne der PatientInnen, was das geeignetste für Ihre Gesundheit und Wohlbefinden ist.

Über die Arud

Seit der Gründung im November 1991 setzt sich die Arud für Menschen ein, deren Suchtverhalten problematisch ist. Nebst Opioiden betrifft das den problematischen oder abhängigen Konsum von Alkohol, Tabak, Kokain, Cannabis und Benzodiazepinen sowie nicht substanzgebundene Süchte.

Spezialistinnen und Spezialisten aus den unterschiedlichsten medizinischen Fachbereichen bieten individuelle Unterstützung und Behandlung bei allen Abhängigkeitserkrankungen und bei Infektionskrankheiten wie Hepatitis C und HIV.

Nebst der suchtspezifischen und sonstigen psychiatrischen Behandlung ist die medizinische Versorgung und die soziale Betreuung der Betroffenen ein wichtiges Arbeitsfeld der Arud. Heute ist die Arud eine Non-Profit-Organisation mit über 130 Mitarbeiter:innen, zentral beim Hauptbahnhof Zürich gelegen. Die suchtmedizinischen Leistungen werden über die Krankenkassen abgerechnet. Darüber hinaus ist die Arud für ihr Engagement auf Spendengelder angewiesen.

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