Medikamentensucht:
Wir reden über das Tabu

Schlaf- und Beruhigungsmittel sind hochwirksame Medikamente, die bei kurzfristiger Einnahme Leiden lindern können. Längerfristig eingenommen können sie abhängig machen – ein Risiko, das vielen nicht bewusst ist.

Benzodiazepine werden oft zu lange eingenommen. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz zwischen 200‘000 bis 400'000 Personen einen problematischen bis abhängigen Gebrauch von Benzodiazepinen und ähnlichen Medikamenten aufweisen. Damit steht die Abhängigkeit von Benzodiazepinen in der Schweiz an dritter Stelle – nach Tabak und Alkohol. Besonders häufig betroffen sind Frauen sowie Personen über 70 Jahre.

Um auf das hohe Abhängigkeits-Risiko aufmerksam zu machen, haben wir einen kurzen Clip produziert – unter anderem mit Betroffenen, die selbst von Benzodiazepinen abhängig waren:

Häufige Fragen zu Benzodiazepinen:

Was sind Benzodiazepine?

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Benzodiazepine und sogenannte Z-Substanzen (Benzodiazepinähnliche) werden zur Behandlung von Schlafstörungen, Angstzuständen und Panikattacken oder bei starker Anspannung, Epilepsien oder Krämpfen eingesetzt. Ausserdem kommen sie vor Operationen zum Einsatz. Sie werden auch als «Hypnotika» (Schlafmittel), «Tranquilizer» (Beruhigungsmittel) oder «Anxiolytika» (angstlösende Medikamente) bezeichnet. Die verschiedenen Medikamente unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Wirkdauer.

Benzodiazepine und Z-Substanzen sind verschreibungspflichtige Medikamente und sollten in der Regel nicht länger als 4 bis 6 Wochen eingenommen werden. In Krisensituationen können damit zuverlässig Symptome wie Angst, Unruhe, innere Anspannung und Schlafstörungen gemildert werden, bis andere psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlungsansätze greifen. Bei längerfristiger regelmässiger Einnahme kann sich eine körperliche und psychische Abhängigkeit entwickeln. Bestehen die Probleme über einen längeren Zeitraum hinweg, sollten deshalb die zugrundeliegenden Ursachen behandelt werden.

Wie wirken Benzodiazepine?

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Benzodiazepine beinhalten Wirkstoffe, die an Rezeptoren von Nervenzellen im Gehirn andocken und so auf das gesamte Zentralnervensystem wirken. Sie bewirken eine Dämpfung der Reizweiterleitung und haben eine beruhigende und angstlösende Wirkung, fördern den Schlaf, führen zur Entspannung der Muskeln und sind krampflösend. Sie mindern zudem die Intensität von Gefühlen, wodurch sie – bei höheren Dosierungen – vom Alltagsgeschehen abschirmen. Darüber hinaus haben Benzodiazepine jedoch auch Auswirkungen auf das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Bewegungskoordination, wodurch es zu Verwirrtheitszuständen, Vergesslichkeit, lallender Sprache und Gangstörungen kommen kann. Dadurch kann auch die Fahrtauglichkeit stark beeinträchtigt sein. Auch der Schlafrhythmus bzw. die Schlafqualität kann durch die Einnahme von Benzodiazepinen gestört sein.

Was sind die Risiken und langfristigen Auswirkungen?

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Bei einer langfristigen, regelmässigen Einnahme besteht ein nicht unbeträchtliches Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Das gilt nicht nur bei hohen Dosierungen, sondern auch bei niedrigen Dosierungen. Deshalb sollten Benzodiazepine nur kurzfristig eingesetzt werden.

Bei einem regelmässigen Gebrauch können Benzodiazepine ihre Wirkkraft verlieren, sodass die Dosis erhöht werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen. In der Fachsprache wird dies eine Toleranzentwicklung genannt. Durch solche Dosissteigerungen oder Kombinationen von verschiedenen Benzodiazepinen zur Wirkungserhaltung steigt die Gefahr einer Abhängigkeit.

Es können zwei Formen der Benzodiazepinabhängigkeit unterschieden werden: Die Tiefdosisabhängigkeit wird häufig bei älteren Menschen beobachtet, die eine geringe Dosis eines Benzodiazepins zum Schlafen brauchen, ohne dabei im weiteren Verlauf die Dosis zu steigern. Hier sind die Nebenwirkungen oft verhältnismässig gering. Bei der selteneren Hochdosisabhängigkeit besteht über eine Toleranzbildung die Tendenz zur Einnahme immer höherer Dosierungen, mit entsprechend gravierenderen Auswirkungen auf Befindlichkeit und Funktionsfähigkeit.

Im Falle einer Abhängigkeit kommt es beim plötzlichen Absetzen der Medikation zu Entzugserscheinungen – ähnlich wie bei einer Alkoholabhängigkeit. Zudem können noch vor Einsetzen von Entzugssymptomen gegen Ende eines Einnahmeintervalls sogenannte Rebound-Phänomene auftreten: Das heisst, dass dieselben Symptome, die mit den Benzodiazepinen ursprünglich behandelt werden sollten, unvermittelt und in verstärkter Ausprägung auftreten. Das veranlasst die Betroffenen häufig, die Medikation nahtlos weiterzuführen, um dieses unangenehme Erleben zu vermeiden.

Die langfristige Einnahme kann ausserdem über anhaltende medikamentenbedingte Nebenwirkungen wie Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, depressive Verstimmungen, Gereiztheit, emotionales Desinteresse, schnellerer Erschöpfbarkeit und Schläfrigkeit zu psychosozialen Problemen und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit führen.

Ganz allgemein steigt mit der Einnahme von Benzodiazepinen die Gefahr von Unfällen – im Strassenverkehr, bei der Arbeit oder in der Freizeit.

Wieso haben Personen ab 65 Jahren ein höheres Risiko?

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Da der Körper die Medikamente mit zunehmendem Alter langsamer abbaut, verlängert sich deren Wirkdauer. Das Zentralnervensystem von älteren Personen reagiert zudem empfindlicher auf die dämpfende und muskelentspannende Wirkung der Medikamente. Dadurch kommt es häufiger zu Stürzen mit Knochenbrüchen, Verwirrtheit und Vergesslichkeit. Diese Nebenwirkungen werden dabei oftmals fälschlicherweise als Alterserscheinungen interpretiert. Aufgrund von Krankheiten nehmen ältere Menschen häufig auch noch andere Medikamente ein. Ein solcher Mischkonsum von Benzodiazepinen mit anderen Medikamenten kann zu grossen gesundheitlichen Problemen führen. Auch Alkohol wird bei älteren Personen langsamer abgebaut, was sich auf die Reaktionsfähigkeit, die kognitiven Fähigkeiten und die Gleichgewichtsbalance auswirkt.

Durch eine Reduktion oder das ausschleichende Absetzen der Medikation können im Falle eines Übergebrauchs gerade auch ältere Personen wieder eine höhere Lebensqualität erlangen, da sich damit ihre ihre Sinneswahrnehmung, ihre Aufmerkamkeit, ihr Vermögen, Informationen zu verarbeiten, das Gedächtnis und damit das allgemeine Wohlbefinden wesentlich verbessern können.

Weshalb ist Mischkonsum so gefährlich?

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Eine besonderes Risiko stellt der sogenannte Mischkonsum dar, also die gleichzeitige Einnahme von Benzodiazepinen und anderen beruhigenden Substanzen wie zum Beispiel Alkohol oder Opioide. Die dämpfende Wirkung der einzelnen Substanzen kann sich dadurch verstärken, was zu Schläfrigkeit bis zu komatösen Zuständen und einer Verlangsamung der Atmung führen kann – schlimmstenfalls bis hin zum Atemstillstand. Deshalb sollten Benzodiazepine nicht zusammen mit Alkohol oder anderen beruhigenden psychoaktiven Substanzen eingenommen werden!

Wie äussert sich eine Abhängigkeit?

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Bei einer Abhängigkeit geht die Kontrolle über die Steuerung des Konsums verloren. Das Verlangen nach den Benzodiazepinen ist sehr stark und wird vielfach als Zwang empfunden, um die Wirkung aufrechtzuerhalten oder um Entzugserscheinungen zu vermeiden. Es kann zu einer Toleranzentwicklung kommen, das heisst die Dosis muss immer weiter erhöht werden, um noch dieselbe Wirkung zu erreichen. Werden die Medikamente abgesetzt, treten körperliche und psychische Entzugserscheinungen auf, was sich in Angst, innerer Unruhe, Schwitzen, Zittern und Kopfschmerzen äussern kann. Bei einer Abhängigkeit kreisen die Gedanken oft um die Einnahme von Benzodiazepinen, während andere Interessen und auch soziale Kontakte vernachlässigt werden. Trotz möglicher schädlicher oder beeinträchtigender Folgen wird die Einnahme der Benzodiazepine fortgesetzt.

Ist mein Medikamentengebrauch problematisch?

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Werden Medikamente länger als notwendig, in einer höheren Dosis als verordnet oder ohne medizinischen Grund eingenommen, spricht man von einem Medikamentenübergebrauch oder einem problematischen Gebrauch, falls sich psychische, körperliche oder soziale Beeinträchtigungen entwickeln. Ein regelmässiger, längerfristiger Übergebrauch kann zu einer Abhängigkeit führen, sprich, die Kontrolle über den Konsum geht verloren. Es können Entzugssymptome auftreten und oft kommt es zu einer Toleranzentwicklung. Das heisst, dass die Dosis erhöht werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen.

Was kann ich tun?

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Falls Sie den Eindruck haben, dass Sie eine Medikamentenabhängigkeit entwickelt haben und Sie unter den Folgen und Auswirkungen leiden: Holen Sie sich Unterstützung – Sie sind nicht allein! Eine Fachperson kann Sie auf Ihrem Weg zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität professionell begleiten. Es ist dazu nicht zwingend ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik notwendig. Eine Konsumreduktion oder ein Entzug kann auch im Rahmen eines ambulanten Programms, wie das die Arud anbietet, erfolgen. Häufig helfen bereits kurze Gespräche mit einer Ärztin oder einem Arzt, um eine neue Perspektive zu gewinnen und sich für weitere Schritte zu motivieren.

Da die möglichen Entzugssymptome beim Absetzen von Benzodiazepinen zum Teil stark und individuell sehr unterschiedlich sein können, sollten Sie eine Veränderung der Dosis zuerst mit einer Ärztin oder einem Arzt besprechen.

Wie läuft eine Behandlung bei einer Benzodiazepin-Abhängigkeit ab?

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In einer ausführlichen Abklärung wird zunächst geprüft, ob zusätzliche psychische Leiden oder Belastungsfaktoren vorliegen, die dem Benzodiazepin-Konsum zu Grunde liegen oder ihn mit unterstützen. Für die identifizierten Grundleiden und Risikofaktoren wird eine entsprechende Behandlung eingeleitet, um eine höchstmögliche Stabilität zu erreichen und damit die Ausgangslage für einen nachhaltigen Abbau der Benzodiazepine zu optimieren.

Der Benzodiazepin-Abbau erfolgt in kleinen Schritten und in einem für den einzelnen Patienten verträglichen Tempo, um das Auftreten von Entzugserscheinungen zu verhindern und es Körper und Psyche zu ermöglichen, sich vor jedem weiteren Reduktionsschritt wieder genügend zu stabilisieren. Dieser Prozess wird sehr individuell, auf den einzelnen Patienten abgestimmt gestaltet und kann Wochen oder Monate in Anspruch nehmen.

Was können Angehörige tun?

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Viele Betroffene getrauen sich oftmals jahrelang nicht, sich Hilfe zu suchen – aus Scham und Angst, verurteilt zu werden. Es ist deshalb wichtig, betroffene Personen nicht zu verurteilen oder zu beschuldigen. Hilfreich sind Ehrlichkeit und Anteilnahme: Bestehen Hinweise auf eine Abhängigkeit, sollte man die Person darauf ansprechen – auf eine mitfühlende und nicht wertende Art. Die betroffene Person soll spüren, dass man sich sorgt und sie darin unterstützt, sich professionelle Hilfe zu suchen. Die Verantwortung, sich die Hilfe letztlich zu holen und auch in Anspruch zu nehmen, liegt jedoch bei der betroffenen Person.

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Medikamentensucht – Das stille Leiden

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