Die Sprache führt unser Denken: Deshalb sollten wir das «J-Wort» aus unserem Wortschatz streichen

Wir alle kennen es und haben es schon benutzt: Es geht um das Wort «Junkie». Dabei ist vielen nicht bewusst, welche Macht das Wort hinsichtlich unserer Wahrnehmung von Personen mit einer Suchterkrankung hat. Philip Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin bei der Arud, hat im Schweizer Journalist:in einen Gastbeitrag zum «J-Wort» geschrieben. Auf diesem Artikel aufbauend soll dieser Blogbeitrag aufzeigen, wieso die Arud sich klar gegen die Verwendung dieses Begriffes positioniert, da er stark stigmatisierend und diskriminierend ist.
Von Myriam Meyer, 24. Juni 2022



Wortherkunft

Das «J-Wort» wird überwiegend für Personen mit einem problematischen Heroinkonsum verwendet. Es entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den USA, als zahlreiche Personen vom Schmerz- und Hustenmittel «Heroin» der Firma Bayer abhängig wurden. Den steigenden Konsum finanzierten sie mit dem Verkauf von Altmetall. So wurde vom englischen Wort «junk» - Abfall, «Junkies» abgeleitet. Dies zeigt deutlich, wie negativ das «J-Wort» besetzt ist oder anders gesagt, dass das Wort keinerlei positive Assoziationen auslöst.

Macht der Sprache

Die Sprache hat Einfluss auf unser Denken. In der Linguistik ist dieses Phänomen unter der Sapir-Whorf-Theorie bekannt. Konkret sehen wir dies aktuell auch in der Debatte um das Gendersternchen. Es ist enorm wichtig, dass alle Menschen in der Sprache eingeschlossen werden, anstatt nur das generische Maskulinum zu verwenden. Wenn beispielsweise ein Mädchen nie hört, dass es auch Ärztinnen gibt, kommt es unter Umständen selbst weniger auf die Idee, dass dies überhaupt eine Option sein könnte, «wenn es einmal gross ist». Dieses Prinzip lässt sich auf Menschen mit Suchterkrankungen übertragen. Benutzt oder liest man das negativ konnotierte «J-Wort» in Verbindung mit Menschen, die eine Suchterkrankung haben, wird pauschalisiert und die Assoziation noch verstärkt. Der Umstand, dass viele der konsumierten Substanzen in der Schweiz illegal sind, verleiht den Menschen zusätzlich den Stempel, und auch die Realität, der damit einhergehenden Kriminalität.
Hier kann man mehr zur Forderung der Arud einer Legalisierung aller psychoaktive Substanzen lesen.

Folgen von Stigmatisierung

«Stigmatisierung ist ein Prozess, in dem ein bestimmtes Merkmal, z.B. eine Suchtkrankheit, dazu führt, dass Menschen mit einem Etikett versehen, mit negativen Stereotypen in Verbindung gebracht, ausgegrenzt und schließlich diskriminiert werden.» (1) Mit dem «J-Wort» wird genau eine solche Stigmatisierung verstärkt und eine Randgruppe erzeugt. Dadurch wird das Suchtproblem der Betroffenen noch verstärkt und kann sogar ein Hindernis zur Besserung darstellen. Ein Heilungsprozess steht in direktem Zusammenhang mit der eigenen Wahrnehmung. Wenn eine Stigmatisierung von aussen erfolgt, so stigmatisiert man sich oft auch selbst. Studien zeigen, dass eine solche Selbststigmatisierung die Zuversicht auf Therapieerfolg schwächt. Auch für das Umfeld macht es Unterstützung schwerer, Suchterkrankte sehen sich wiederum als Last und die Stigmatisierung als gerechtfertigt, ein sogenannter Teufelskreis beginnt.

Quelle: Global Comission on Drugs, Bericht 2017

Die Rolle der Medien

Die Medien haben auf die Wahrnehmung und die Terminologien dieses Themas einen grossen Einfluss. «Es dominieren zwei Darstellungsweisen, wenn es um Drogen geht und um die Menschen, die sie konsumieren: Die eine verknüpft Drogen mit Kriminalität, die andere stellt die verheerenden Folgen des Drogenkonsums für den Einzelnen und seine unmittelbare Umgebung als unvermeidlich dar.» (2) Es fehlt an differenzierter Berichterstattung sowie an Lösungsansätzen und Hilfsangeboten, denn es gibt nicht nur den einen, problematischen Substanzkonsum. Die Stigmatisierung bringt auch medizinische Nachteile mit sich. Man könnte sogar sagen: Je grösser die Stigmatisierung, desto weniger Behandlungsmöglichkeiten werden angeboten. Laut UNODC erhält nur jeder sechste Mensch mit einem problematischen Substanzkonsum eine Behandlung. Daher ist es unglaublich wichtig, dass einerseits Aufklärungsarbeit zu dem komplexen Krankheitsbild Sucht betrieben wird und dass sich andererseits der Sprachgebrauch rund um dieses Thema verändert. Suchterkrankungen sind keine Charakterschwächen, sondern eine ernstzunehmende Krankheit. Ausserdem definiert diese Krankheit keinen Menschen, sondern ist lediglich eine Facette einer Person.

Alternative Formulierung

Die Arud schliesst sich dem «International Network of People who use Drugs» (INPUD) an und fordert eine personenzentrierte Terminologie. Man soll anstatt des «J-Wortes» «Menschen, die Substanzen konsumieren» oder «Personen mit Substanzabhängigkeit» verwenden.

Die Wortwahl ist ein kleiner Schritt, den jeder dazu beitragen kann, dass sich die Lage für Personen mit Substanzkonsum im positiven verändern kann, sich Betroffene und deren Umfeld nicht mehr schämen müssen und sich (frühzeitig) trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.


Interesse geweckt an der Arud?
Hier das Leitbild und die Vision der Arud sowie ein Behandlungsablauf.

Quellen:
1. Memorandum der Klausurtagung im September 2016, die von der psychiatrischen Klinik der Universitätsmedizin Greifswald in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Suchforschung und Suchttherapie (DG Sucht) ausgerichtet und vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wurde.
2. Global commision on drugs, Bericht 2017
3. Schweizer Journalist:in, #02/22 Schreiben Sie das nicht mehr! Warum das Wort „Junkie“ auf den Index gehört.
4. Wikipediaeintrag: Sapir-Whorf-Theorie

Myriam Meyer
freie Mitarbeiterin Kommunikation